Zeitreise(n) durch Bad Iburg

Hagenberger-Rott - Haus Nr. 65 (heute: Große Straße 21)

Gegenüber der Fleckenskirche an der heutigen Großen Straße befand sich im Hagenberger-Rott das Haus Nr. 65.

Die von Bischof Konrad III. von Diepholz (1455 - 1482) errichtete Stadtbefestigung bestand im Osten des Grundstücks aus einer Mauer.

Plan vom 4. Dezember 1875
Plan vom 04. Dezember 1875 (rot eingekreist: Haus Nr. 65)

1667 befand sich an dieser Stelle das Hauptwohnhaus von Lambert Schwirman - der Familienname änderte sich später zu Schwiermann.

Im Jahre 1736 ist auf dieser Anschrift Bernardus Gerardus Zumbrinck gemeldet; mit seiner Ehefrau Maria Odilia, geborene Kock, hatte Bernardus zehn Kinder.
Bernardus Zumbrinck wurde 1722 Vogt von Glane und Hagen - nach dem Tod wurde er am 7. Februar 1742 in Iburg beerdigt. Die Ehefrau Maria Odilia verstarb am 10. Juni 1789 in Iburg.
Der Vogt übte in Glane und Hagen die Regierungsgeschäfte aus und führte den Vorsitz bei Gerichtsstreitigkeiten.

Deren 1725 geborene Sohn Joannes Hermannus Otto war Vogt in Wellingholzhausen, der 1732 geborene Sohn Christopherus Bernardus Gerichtsschreiber.

1805, das Haus gehörte den Erben von Zumbrinck, bewohnte eine Familie Klingenberg das Gebäude.

Der Anstreicher Heinrich Heuer (geb. 1786) kaufte das Haus 1821 und verkaufte es an Frl. Klingenberg weiter.

Im Jahre 1840 kaufte der Bäcker Heinrich Georg Clemens Timpe das Anwesen. Dieser, am 21. Januar 1808 in Iburg geboren, heiratete am 1. Juli 1835 die in Füchtorf geborene Lisette Schmidt. Lisette gebar 10 Kinder, wobei ein Sohn dreijährig verstarb und ein Sohn tot geboren wurde. Der tot geborene Sohn war der Zwillingsbruder zu Ernst August Carl Timpe - Pate war "Seine Majestät Ernst August König von Hannover", vertreten durch den katholischen Küster und Lehrer Gerhard Heinrich Menkhaus (1799 - 1875).

Der Sohn und Bäcker Bernhard Heinrich Timpe, geboren am 26. September 1839 in Iburg, verheiratet mit Charlotte Stapenhorst, übernahm die elterliche Bäckerei; das Ehepaar hatte drei Kinder.

Große Straße hinunter
Linkes Gebäude: Bäckerei Bernhard Timpe
(links im Vordergrund: Mathias Georg Ferdinand Gellenbeck)

1912 stand die Bäckerei Timpe zum Verkauf - zu diesem Zeitpunkt bestanden zwei weitere Bäckereien in Iburg; einst betrieben u.a. Caspar Eichholz, Hermann Heinrich Eymann, Hermann Wedekämper, Georg Heinrich Steinkühler, Johann Heinrich Schulte, Caspar Heinrich August Bruns und Heinrich August sowie Anton Peters in Iburg eine Bäckerei.

Der auf Wanderschaft befindliche Hermann Große-Rechtien, geboren am 21. Juli 1887 in Alfhausen, wurde auf den Verkauf der Bäckerei aufmerksam, kaufte diese und eröffnete dort am 1. April 1912 die Bäckerei. Besonders beliebt wurden in den Folgejahren seine "Osnabrücker Springbrötchen" (nach dem Backen springt die Oberfläche der Brötchen auf) sowie sein Pumpernickel, ein Vollkornbrot aus Roggenschrot; die Kunden in den benachbarten Orten wurde mit Pferd und Wagen beliefert.

Die Anschrift lautete: Großestraße 81 - die Bäckerei & Konditorei war unter der Telefonnummer 100 erreichbar.
1938 lautete die Telefonnummer 141.

Hermann heiratete am 25. September 1913 in Laer Anna Fechtmann, geb. 22. August 1893, aus Winkelsetten. Das Paar bekam in den Folgejahren einen Sohn und fünf Töchter.

Mit Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 wurde auch Hermann Große-Rechtien einberufen - der Backofen blieb kalt. Seine Frau Anna brachte das Geschäft mit dem Verkauf von Butter, Eiern, Fisch und Öl über die Kriegsjahre. Nach der kriegsbedingten Inflation begann wieder der Aufbau der Bäckerei.

Der Sohn Heinrich, geboren am 21. Februar 1915, begann am 1. April 1929 seine dreijährige Lehre in der elterlichen Bäckerei. Anschließend war Heinrich kurzzeitig bei der Bäckerei Mönter an der Iburger Straße in Osnabrück beschäftigt.

Und wieder durchkreuzte ein Weltkrieg die Pläne der Bäckerei Große-Rechtien - Heinrich wurde als Soldat eingezogen.

Hermann Große-Rechtien
Hermann Große-Rechtien, um 1920

Auf der Aufnahme von 1923 sind die Isolatoren der neuen Telefonanlage zu erkennen; das Haus war um 1915 eines der wenigen Iburger Häuser mit einem "Kraft-Anschluß" (für leistungsstarke Geräte).

Aufnahme um 1923
Familie Große-Rechtien mit Gesellen und Lehrlingen, um 1923
Auf dem Firmenschild ist vermerkt: Hermann Gr. Rechtien

1933 wohnten im Flecken Iburg 1.642 Einwohner.

1935 residierte Hermann IV. (Große-Rechtien) mit Wilhelmine I. (Stapenhorst) als Königspaar der Iburger Schützen - und so ziert eine Bäcker-Brezel die Plakette von 1935 an der Königskette.
Die Brezel gilt als Zunftzeichen und wird noch heute von zahlreichen Bäckereien als Wahrzeichen verwendet.

Der Bäckerei wurde noch 1939 ein Café mit ca. 30 Sitzplätzen angegliedert.

Familienfoto um 1938
Familienfoto mit Anna (vorne links) und Hermann (vorne rechts) Große-Rechtien
sowie den fünf Töchtern und Sohn Heinrich, um 1938

Während des Krieges 1942 starb Hermann Große-Rechtien mit nur 55 Jahren und seine Frau Anna musste das Geschäft alleine weiterführen. Doch alle fünf Töchter, Elisabeth, Hedwig, Anneliese, Clärchen und Gertrud, halfen tatkräftig mit: die jüngste Tochter Gertrud hatte ebenfalls das Bäckerhandwerk erlernt und so konnte der Betrieb diesmal aufrecht erhalten werden; ihr zur Seite stand ein französischer Kriegsgefangener.
Die am 4. Januar 1919 geborene Tochter Hedwig, verheiratete Klostermann, starb am 9. Mai 2015 in Bad Iburg.
Die am 31. Dezember 1926 geborene Tochter Gertrud heiratete später Josef Kassen aus Iburg - sie verstarb am 31. Oktober 2013 in Bad Iburg.
Die Tochter Anneliese (geboren am 26. Juli 1920) arbeitete von 1937 bis 1939 als Bäckereiverkäuferin in Münster - sie heiratete im August 1948 und zog im folgenden Jahr mit ihrem Mann, dem Bäckermeister Tepe, nach Osnabrück an die Koksche Straße, wo die beiden eine eigene Bäckerei, Konditorei und ein Lebensmittelgeschäft betrieben.

1942 wurde ein Dampfbackofen, in dem die Wärme vom Heizraum in die Backkammer mittels Dampf in einem geschlossenen System übertragen wird, angeschafft.

Dampfbackofen
Dampfbackofen mit dem durch Rollen beweglichen eisernen Backherd, um 1943

1945 kam Heinrich Große-Rechtien unversehrt aus dem Krieg zurück - die während des Krieges von "Großestraße" in "Adolf-Hitler-Straße" umbenannte Straße heißt nach Kriegsende "Große Straße".

1947 wurde Heinrich als "Heinrich I. Große-Rechtien vom Hagenpatt" Prinz der Karnevalsgesellschaft "Roter Hahn Bad Iburg von 1935 e.V." - an der 1. Prinzenkette befand sich ebenfalls eine Brezel.

An der ersten deutschen Bäckerfachschule in Olpe legte Heinrich im Dezember 1947 vor dem Meisterprüfungsausschuss der Handwerkskammer Arnsberg seine Meisterprüfung im Bäcker-Handwerk ab; die Bäckerfachschule war erst Mitte des Jahres eröffnet worden.

Auch in den ersten Jahren nach dem Weltkrieg wurden Nahrungsmittel per Lebensmittelkarten zugeteilt - in der Bäckerei wurde nunmehr auch Maisbrot verkauft.

Bei der Neuwahl des Gemeinderates am 28. Dezember 1948 wurde Heinrich Große-Rechtien für die CDU in den Rat des Fleckens Iburg gewählt - Bürgermeister wurde der Gärtner Heinrich Schowe (ebenfalls CDU). Heinrich Große-Rechtien gehörte dem Rat der (späteren) Stadt Bad Iburg durchgängig bis zum Jahre 1986 an.

Ein erstes Auto wurde angeschafft: der "Buckeltaunus" Ford Taunus Spezial G73A (Baujahr 1949) - mit 34 PS und einer Spitzengeschwindigkeit von 97,5 km/h.

Heinrich heiratete am 8. September 1955 die am 3. Oktober 1932 geborene Marianne Bäumker, die "Tochter des höchsten Bürgers von Iburg" - diese schenkte ihm in den Folgejahren drei Kinder: Anette, Hermann und Frank.

Hochzeit Marianne und Heinrich Große-Rechtien
Hochzeit von Marianne und Heinrich Große-Rechtien

In der Bäckerei wurden neben Brötchen, Brot und Backwaren auch Lebensmittel und Spirituosen verkauft.

Am 30. Juni 1953 wurde Heinrich Große-Rechtien von der "Königlichen Hofbäckerei" - als Dankeschön - von dem Iburger Apotheker Jürgen Schlotheuber (verst. 1986) zum "Oberhofceremonienmeister" ernannt.

Schreiben vom 30.06.1953
Schreiben vom 30.06.1953

Mitte Mai 1959 wurde das alte Fachwerkhaus abgerissen; der Verkauf ging in der Diele von Eversmann (Große Straße 17) weiter.
Nunmehr stand nicht mehr die Giebelseite, sondern die Längsseite zur Großen Straße.

Abriss 1950   Umbau Backstube
Abriss 1959,
im Vordergrund Teile der Holzkonstruktion des Fachwerkgiebels
Auf dem Firmenschild ist nunmehr vermerkt: Herm. Große-Rechtien
  Umbau der Backstube

Anfang Dezember 1959 wurde neu eröffnet: es entstand im unteren Bereich neben dem Ladengeschäft ein Café mit ca. 50 Sitzplätzen und in den oberen Etagen vier Wohnungen.
Der Iburger Maurer- und Stuckateurmeister Hubert Reiferth (Teutoburger Straße 9) schuf im Café eine schöne Stuckdecke.

Bald darauf wurde auch die Backstube entkernt und vergrößert: mit einem neuen Öl-Ofen brauchte keine Kohle mehr geschleppt werden! Während der backfreien Zeit wurde die Bäckerei von Kollegen mit den nötigen Backwaren beliefert.

Ansicht 1959
Ansicht um 1959

1972 wurde die große Blumenbank vor dem Café durch Schiebetüren ersetzt, die bei Bedarf zur Großen Straße geöffnet werden konnten; montags war Ruhetag.
Ebenfalls in diesem Jahr baute die Familie auf dem rückwärtigen Grundstück am Hagenpatt ein zweistöckiges Privathaus.

Rabattmarken
Rabattmarken - eine frühe Erscheinungsform
von Kundenbindungsmaßnahmen

Sohn Hermann begann 1976 seine Ausbildung zum Bäcker bei der 1903 gegründeten Bäckerei Brüggemann (Bierstraße 13) in Osnabrück.

1977 wurde das Café nach Planungen des Münsteraner Architekten Hans Kusseler (gest.: 1987) modernisiert. Erhalten blieb das große Bild "Iburg von der Morgenseite" (Ostseite) aus dem Jahr 1849, einst gezeichnet von dem deutschen Landschafts- und Architekturzeichner Balthasar Josef Ludwig Rohbock (1824 - 1893) und gestochen von Franz Hablitscheck (1824 - 1867).
Hans Kusseler war auch bei den Sanatoriumsneubauten Kassen in Bad Iburg sowie beim Kurhaus Bad Iburg als Architekt tätig.

Frontansicht 1972   Innenansicht Verkaufsraum 1977   Innenansicht 1977
Frontansicht nach dem Umbau 1972   Innensicht des Verkaufsraumes, um 1977   Innenansicht des Cafés, um 1977

1979 verstarb Anna Große-Rechtien, geborene Fechtmann - bis zuletzt nahm sie regen Anteil an den Geschehnissen der Bäckerei.

1984 legte Hermann seine Meisterprüfung zum Bäckerhandwerk in Hannover ab - anschließend absolviert er bei der Handwerkskammer in Oldenburg den Betriebswirt des Handwerks.

Noch 1984 übernahm Hermann Große-Rechtien die väterliche Bäckerei.

1987 wurde die Backstube um einen Konditoreibereich vergrößert - ebenfalls wurde der weitere Maschinenpark erweitert und modernisiert.

1989 startet, initiiert vom Kur- und Verkehrsverein Bad Iburg e.V., die Aktion "Unsere Stadt wird schöner" zur Neugestaltung des Iburger Stadtkerns. Zur Generierung von Einnahmen werden in zahlreichen Geschäften, darunter auch bei Große-Rechtien, bis Ende November 1989 Lose verkauft.
1991 wird schließlich die Große Straße neu gestaltet und vom Bildhauer Hans Gerd Ruwe ein Handwerkerbrunnen geschaffen; am Handwerkerbrunnen befindet sich auch die Darstellung eines Bäckers.
Während des Umbaus der Großen Straße werden Brote und Brötchen aus einem Verkaufswagen heraus, der auf dem jetzigen Hanseplatz stand, verkauft.

Im Sommer 1992 wurde der Verkaufsladen und das Café nach Plänen der Firma "Berner Ladenbau" modernisiert.

Im Mai 1995 heiratete Hermann seine Beate, geborene Hermes - diese schenkte ihm zwei Kinder: Maximilian und Charlotte.

Im Januar 1999 verstarb im Alter von fast 85 Jahren Heinrich Große-Rechtien.

Im Jahr 2012 wurde (wieder) das Café modernisiert - die 1959 geschaffene und bei späteren Modernisierungen abgedeckte Stuckdecke - wurde wieder freigelegt.
Im gleichen Jahr wurde das 100jährige Betriebsjubiläum gefeiert.

Im Januar 2016 erschien von Martin Calsow der Regionalkrimi "Atlas - Frei zum Abschuss" - dort ist zu lesen: "Schlager beruhigten ihn [Andreas Atlas] wie Königsberger Klopse oder Brötchen von Hermann Große Rechtien. Das waren Dinge aus seiner Heimat, die den Horror der vergangenen Jahre zumindest für kurze Zeit verdrängten."
Übrigens: auch "Grebing" wird mehrfach als Kollege von Andreas Atlas erwähnt!

Seit vielen Jahren ist Hermann Große-Rechtien als Beisitzer im Sportgericht des Niedersächsischen Fußballverbandes e.V., Kreis Osnabrück-Land, tätig - im Dezember 2016 wurde er zum neuen Grünkohlkönig des Vereins für Orts- und Heimatkunde Bad Iburg e.V. ernannt. Er versprach sich intensiv für die Förderung des Heimatgedankens, sowie der besonderen Förderung des Vereins für Orts- und Heimatkunde Bad Iburg e.V. einzusetzen.

Im August 2019 wurde Beate I. Große-Rechtien an der Seite von Thomas III. Hartlage neue Schützenkönigin in Bad Iburg - ihr Mann Hermann wurde Kammerherr.

Seit vielen Jahren engagiert sich Hermann Große-Rechtien in der Werbegemeinschaft "Bad Iburger Marketing (BIM) e.V.".

Die Werbung im Laufe der Zeit:

Werbung 1925   Werbung 1930   Werbung 1949
Werbung um 1925
aus: "Iburg in der Geschichte und in der Natur"
von Fritz Knickenberg,
3. veränderte Auflage, verlegt bei Rudolf Hankers, Iburg
  Werbung 1930
aus: "Iburger Fremdenblatt", Nr. 1, 4. Juni 1930
  Werbung um 1949
aus: "Luftkurort Iburg" von Robert Hülsemann
 
Werbung 1962   Werbung 1969   Werbung 1971
Werbung 1962
aus: "Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Vereins für
Leibesübungen e.V. Iburg"
  Werbung 1969
aus: "Unterkunftsverzeichnis 1969" der Stadt- u. Kurverwaltung Bad Iburg
  Werbung 1971
aus: "Unterkunftsverzeichnis 1971" der Stadt- und
Kurverwaltung Bad Iburg
 
Werbung 1977   Gemeinschaftswerbung 1982   Werbung 1985
Werbung 1977
aus: "Bad Iburg - 10 Jahre staatlich anerkanntes Kneipp-Heilbad"
  Gemeinschaftswerbung 1982
aus: "Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Freiwilligen Feuerwehr Bad Iburg"
  Werbung 1985
aus: "Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Karnevals-
gesellschaft Roter Hahn Bad Iburg von 1935 e.V."

 

Für zahlreiche Hinweise danke ich Marianne und Hermann Große-Rechtien (beide Bad Iburg) - weitere Informationen finden sich in dem Jubiläumsheft "100 Jahre ... mit Liebe gebacken" aus dem Jahre 2012!

 

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