Hinter- und Untergründe
Eine Zeitreise1
von Horst Grebing
Winter 1959/1960 - draußen ist es kalt, aber im Rittersaal des Schlosses Iburg ist es durch das lodernde Kaminfeuer wohlig warm. Es ist wieder ein Abend, dem unsere Heimschulordnung2 gerecht wird: "Sinnbild und Ausdruck unserer Gemeinschaft ist die Runde am Kamin."
Frau Oberstudienrätin Anna Franke3 hält einen Vortrag zum Thema "Erdgeschichtliche Ereignisse im Iburger Raum und ihre landschaftsgestaltende Wirkung"4 : "Ich glaube, es lohnt sich, einmal die Vielfalt der Landschaftsbilder im Iburger Raum zu deuten, ihr Werden zu verfolgen, im heutigen Angesicht die Spuren der Vergangenheit zu erkennen. - Wir wollen uns also mit erdgeschichtlichen Tatsachen beschäftigen."
Meine Gedanken schweifen ab: was für eine enorme Kraft mußte aufgewandt werden, damit unsere "Iburg" überhaupt auf diesem Bergrücken entstehen konnte. Der schmale Grat des Bergrückens mußte abgetragen und Senken mußten zugeschüttet werden. Material für den Bau war in nächster Umgebung vorhanden: Holz, Sandstein vom Dörenberg ("Benno-Steinbruch") und Steine zum Kalkbrennen konnten auf dem Burgberg selbst gebrochen werden.
Ob wohl schon damals Fossilien und Mineralien das Interesse der Burgbewohner geweckt haben? Schon der Gelehrte und Weihbischof Niels Stensen (Nicolaus Steno; geb. 11.01.1638, gest. 05.12.1686), der gute Kontakte zum Iburger Abt Maurus Rost besaß und in den ersten Septembertagen 1683 im Iburger Kloster verweilte, hielt Fossilien für einstige Lebewesen. Auch hat er schon den informativen Gehalt geschichteter Lagerung sowie unterschiedlich zusammengesetzter Schichten erkannt. In einer Vorrede an den Großherzog Ferdinand II.5 aus dem Jahre 1667 schrieb Steno: "Den Alten machte nur eine einzige Schwierigkeit zu schaffen, nämlich wie Körper aus dem Meere an Stellen fern vom Meere zurückgeblieben sind, ...". Steno hielt indes die Versteinerungen für Zeugen einer Sintflut. Heute weiß man mehr: vor 92 Millionen Jahren, dem Cenoman, befand sich im Iburger Gebiet ein küstenfernes Schelfmeer, in dem Ammoniten, Brachiopoden, Muscheln und Seeigel lebten. Die Ammoniten schwebten wie Freiballone im Wasser oder krochen über dem Meeresboden, wo sie mit einer Art Schaufel die Kleinlebewesen der obersten Bodenschicht aufscheuchten und sie dann verschluckten. Andere Lebewesen wie Muscheln und Brachiopoden hefteten sich auf das Sediment und filterten die im Wasser enthaltenen Nahrungspartikel. Seeigel weideten mit ihrem Mund, der sich auf der Unterseite der Tiere befand, den Aufwuchs am Untergrund ab.
Durch das Verrücken eines Stuhles wurde ich jäh aus meinen Gedanken gerissen, konnte aber dadurch den interessanten Vortrag weiter verfolgen.
Vereinfachtes geologisches Profil (nach HAACK,
1930)
So könnte es sich vor knapp vierzig Jahren im Rittersaal des Schlosses Iburg zugetragen haben. Ich selber habe dies nicht miterlebt: knapp zwanzig Jahre später mußte ich dem wöchentlich zwei Stunden umfassenden Erdkundeunterricht mit geologischen Themen folgen, deren Beispiele fernab der Heimat lagen. Ich erinnere mich noch an die Überschrift: "Wir erkunden Landformen der glazialen Serie und ihre Nutzung".
Auf die hiesige Vereisung der Saale-Kaltzeit (Mittel-Pleistozän) vor 200.000 - 250.000 Jahren wurde aber nicht eingegangen, obwohl sich ein großer Teil des Gebäudes des Gymnasiums Bad Iburg auf sandigem Untergrund einer fluvioglazialen Aufschüttung (= Ablagerungen der Gletscherschmelzwässer) befindet. Beim Abschieben des Geländes für den Gymnasium-Neubau wurde feinster Sand verschoben, der in der sog. "Fillekuhle" auch einst abgebaut wurde. Die "Fillekuhle" war eine 7 - 8 m tiefe und im Durchmesser 20 m große Sandgrube im Bereich des nördlichen Parkplatzes und der dortigen Fahrradständer des Schulzentrums. Ein Brunnenprofil neben der ehemaligen Sandgrube ergab bis zu einer Teufe von 35 m Sand.
Es gab aber auch Bereiche, in denen stark lehmiger Mergel, der von Tonbänken durchsetzt ist, vorhanden war: Zeugnis einer Grundmoräne.
Ausgehend von Skandinavien stieß das Inlandeis des Drenthe-Stadiums von Norden in unsere Region vor. Die Jahresmitteltemperatur betrug - 6°C! Die mitgebrachte Sedimentfracht hat die Landschaft entsprechend aufgehöht.
Und was schrieb Frau Franke dazu: "Unser Gang durch die für unser Iburger Land wichtigsten Perioden der Erdgeschichte ist beendet. Kann er uns bei der Deutung der Heimatlandschaft helfen? Ich hoffe es! Er zeigt uns, daß die Formen der Landschaft, trotz aller Verschiedenheit und Abwechslung, materialecht sind. Jede Form ist nicht nur schön und ausgewogen, sondern sie entspricht ihrem stofflichen Aufbau und ihrer Entwicklung."
Möge der zukünftige Erdkundeunterricht auch ein Brücke zur Heimatkunde schlagen!
1 veröffentlicht in der Schülerzeitung "The
Voice" am Gymnasium Bad Iburg in der Ausgabe 10 vom 06.10.1998
anläßlich 50 Jahre Gymnasium Bad Iburg
2 Die Niedersächsische Heimschule Iburg wurde im
Herbst 1948 gegründet. Die staatliche Heimschule beendete ihre
Tätigkeit und schloß das Internat 1971; das Gymnasium wurde in
die Trägerschaft des Landkreises Osnabrück überführt - der
Umzug in das neue Schulzentrum erfolgte im August 1972.
3 Anna Franke wurde am 24.07.1898 in Münsterberg /
Schlesien geboren und starb am 10.02.1989 in Bad Iburg. Als
Oberstudienrätin unterrichtete sie von 1948 bis 1962 an der
Heimschule Iburg die Fächer Mathematik, Chemie und Erdkunde.
4 Der 11seitige Vortrag wurde um 1960 gehalten -
näheres in dem Artikel "Anna Franke -
Naturwissenschaftlerin mit Leib und Seele" von Horst Grebing,
veröffentlicht in den Mitteilungen "gbi" des Vereins
der Freunde und ehemaligen Schüler des Gymnasiums Bad Iburg,
Heft Nr. 15, November 1990.
5 Großherzog Ferdinand II. der Toskana (1610 - 1670)
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